Der „Himmel“ auf Erden

Wer spielt, betritt eine andere Wirklichkeit und sieht die Welt mit anderen Augen - den Augen eines Kindes. Genau dazu laden Spielgefährten ein. Im Ursprünglichen Spiel betreten die Spielenden wieder die magische Welt der Kindheit - nicht als Fantasie oder als bloße Vorstellung, sondern ganz real und körperlich überprüfbar.

Es zeigt sich, dass der Zugang zu dieser Welt keine Frage des Alters ist, sondern davon abhängt, wie wir uns bewegen und welches Betriebssystems das Tun und Erleben steuert.

Die „Grundausstattung“, mit der jedes Leben ausgerüstet wurde, um die ersten Schritte in die Welt zu unternehmen, unser Spiel-Betriebssystem, ist unter allen später erworbenen Programmen noch immer vorhanden. Es ist nur von dem überlagert, was wir „dazu“ gelernt haben. In einer Umgebung, die verlässlich, freundlich und sicher ist, können Verhaltensmuster, die auf Selbstbehauptung und Selbstverteidigung beruhen, wieder überflüssig werden und in den Hintergrund treten. Wer sich geborgen fühlt, braucht nicht zu kämpfen. Wer sorglos ist, fängt an zu spielen. Wo Verhalten nicht von Abgrenzung und Angst bestimmt ist, kann ein älteres Beziehungsmuster wieder auftauchen und wirksam werden: Verbundenheit.


Wer Verbundenheit erlebt, kann nicht sagen, ob er spielt, weil er sich sicher füht oder ob er sicher ist, weil er spielt. Vielleicht ist die Frage auch einfach falsch gestellt und Spiel und Sicherheit sind lediglich zwei Erscheinungsformen einer tiefer liegenden Verbundenheit. Die schönste und präziseste Definition von Ursprünglichem Spiel, die genau das zum Ausdruck bringt, stammt von einem Fünfjährigen: „Im Spiel wissen wir nicht, dass wir verschieden sind.“ Unterschiede werden im Ursprünglichen Spiel bedeutungslos. Sie treffen keine relevante Unterscheidung mehr und trennen damit nicht länger. So können wir entdecken, was uns verbindet und was uns spielen lässt.


Warum spielen wir? Niemand kann spielen, weil er spielen soll (oder weil es gut für ihn wäre). Spielen ist ein ganz individueller Akt. Denn es ist nicht möglich, nur halbherzig zu spielen. Das wäre allenfalls eine Beschäftigung, aber kein Spiel. Wer spielt, begibt sich ganz ins Spiel. Diese Tragweite fühlt jeder Spielende. Darum kann es ohne Freiwilligkeit kein Spiel geben. Denn es gibt nur einen einzigen Grund, warum wir spielen: Wir sind bereit dazu.


Hirn- und Lernforscher sind sich inzwischen einig, dass Spielen der Zustand ist, der optimales Lernen ermöglicht: angstfrei, freudig, mit ungeteilter Aufmerksamkeit, offen für Neues, hellwach und ganz dem Moment zugewandt. Im Spiel treten wir heraus aus einer Welt der Isolation und Getrenntheit, des Wettbewerbs und des Kampfes, der Bewertungen und trennenden Unterschiede. Was wichtig erschien und unabweisbar feststehend, tritt in den Hintergrund und lässt das sichtbar werden, was in seiner Unaufdringlichkeit so leicht übersehen wird.

Spielend betreten wir eine andere Welt und erleben eine andere Wirklichkeit: Wo die Aufmerksamkeit ganz in der Gegenwart ruht, sind Ziele und Ergebnisse ohne Bedeutung. Wo die Zeit stillsteht, gibt es nichts zu erreichen. Wo nichts erreicht werden muss, sind Bewertungen überflüssig. Wo Urteile nicht das Erleben bestimmen, ist es möglich unbefangen wahrzunehmen, was ist. Wo Vorstellungen und Absichten nicht das Tun steuern, warten überall Überraschungen. Wo es keine Angst vor dem Neuen gibt, können wir staunen. Wo Neugier das Bewegen leitet, gibt es nur noch Ereignisse und keine Störungen mehr,

Wo das Leben staunend auf Leben trifft - spielt es.

In diesem Ursprünglichen Spiel werden Verbundenheit und Freude erlebt, Geborgenheit und Abenteuer und die Kostbarkeit jedes einzelnen Moments.

Ist das nicht ein „Himmel“ auf Erden? Eine Welt, in der Unterschiede nicht trennen, sondern ohne Bedeutung sind. Eine Welt, in der Freundlichkeit und Verbundenen erlebt werden. Eine Welt, in der jeder sicher ist und geborgen. Eine Welt, in der jeder so angenommen wird, wie er oder sie ist. Eine Welt, in der jeder Moment als bedeutsam erfahren wird.

Es bleibt dieselbe Welt und ist zugleich eine andere Wirklichkeit. Wer spielt, sieht die Welt mit anderen Augen - den Augen eines Kindes, berührt sie mit der Sanftheit eines kindlichen Körpers und erlebt die Wirklichkeit durch ein Be-triebssystem, das wir alle seit unserer Geburt in uns tragen und das wir „Ursprüngliches Spiel“ nennen können.